Buchrezension „Weisse Nana“

„Ja ne, is klar!“ – Ich hatte keine Ahnung, wie oft ich diesen Satz allein schon an einem Tag benutze bis ich in Bettina Landgrafes Buch „Weisse Nana“ das Kapitel über Atze Schröders Besuch bei ihr in Ghana gelesen hatte. Jetzt habe ich jedes Mal, sobald ich diesen Spruch ausgesprochen habe, das Bild vor Augen, wie in einem ghanaischen Dorf namens Brodi die Kinder diesen Spruch aufsagend umherziehen.

Mein ghanaischer Name ist Akosua Serwah. Ich war vor über 25 Jahren während meines Geographie-Studiums als VOLU Voluntär in Ghana. VOLU (Voluntary Workcamps Association) ist eine nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisition mit Sitz in Accra. Wir haben damals eine Secondary School in einem Dorf namens Kofiase gebaut.
Durch einen Zufall hatte ich Bettina Landgrafe bei „Stern TV“ gesehen und war völlig beeindruckt von ihrem Engagement, ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit, Begeisterung und Unerschrockenheit und ihrer Sicherheit darüber, das Richtige zu tun.
Sie war vor 10 Jahren als Kinderkrankenschwester wie ich als Voluntär in Ghana gewesen und das Land hatte sie nicht mehr losgelassen. Sie gründete den Verein „Madamfo Ghana“ (‚Madamfo’ heißt ‚Freund’), um Geld für Hilfsprojekte in Ghana sammeln zu können. Seither verbringt sie einen Teil des Jahres in Ghana, um Projekte zu betreuen und neue ins Leben zu rufen, den anderen Teil in Deutschland, um Spenden zu sammeln.
Als ich hörte, dass sie ihre Erfahrungen in Ghana und Berichte über die Projekte von „Madamfo Ghana“ in einem Buch veröffentlicht, habe ich das Buch sofort besorgt und gelesen.

Meine Erwartungen wurden beim Lesen voll erfüllt. An vielen Stellen kamen Erinnerungen an meinen eigenen Aufenthalt in Ghana auf.
Das im Knaur Verlag erschienene Buch ist sowohl Reisebericht als auch Biographie und gleichzeitig auch Rechenschaftsbericht der Organisation „Madamfo Ghana“, der Hilfsorganisation, die Landgrafe ins Leben gerufen hat und leitet. Man erfährt einiges über Landgrafes familäre Situation, über ihre Kindheit. Dies gibt Auskunft über ihre Motivation zu helfen und darüber wie sie die Dinge anpackt.

Das Schicksal dieser Kinder liegt mir so am Herzen, weil ich selbst weiß, was es heißt, um die eigene Kindheit betrogen zu werden. Zwar wurde ich nicht von meiner Mama verkauft, wurde nicht zur Kinderarbeit gezwungen, sondern führte das vergleichsweise bequeme Leben eines Kindes in Deutschland, das in den achtziger Jahren aufwuchs. Dennoch wurde es mir nicht in die Wiege gelegt, eine Hilfsorganisation aufzubauen, einmal in einer TV-Sendung aufzutreten oder mit einem Fersehteam durch Ghana zu reisen. Mit etwas weniger Glück hätte ich genauso gut als jugendliche Drogentote am Bahnhof enden können Denn ein wirkliches Zuhause hatte auch ich damals nicht.
S. 16

Ihre Reisebeschreibung ist wunderbar anschaulich. Ich konnte sie beim Lesen in Ghana begleiten. Ich lernte ihre ghanaischen Mitarbeiter kennen, vor allem Emmanuel und Victor, die Menschen ihres Dorfes Apewu, und Mimie, ihre Freundin und Mitbewohnerin in Accra.

Emmanuel stellt sie auf S. 38/39 vor:

Bei diesem ersten Aufenthalt in Apewu lernte ich jemanden kennen, der für die weitere Entwicklung meines Engagements in Afrika von allergrößter Bedeutung sein sollte, den Ghanaer Emmanuel Stephenson Kwame Kumadey. Er kam aus der östlich gelegenen Stadt Ho. Als gelernter Building Technician – auch hier gibt es keine deutsche Entsprechung, es ist einen praxisorientierte Ausbildung irgendwo zwischen einem Maurer und einem Architekten – arbeitete er für die Organisation, über die ich nach Ghana gekommen war. Wir lernten uns kennen, und uns war beiden sehr schnell klar, dass dies eine Freundschaft fürs Leben sein würde. So unterschiedlich unsere Lebenswege bislang auch verlaufen waren, so viele Gemeinsamkeiten entdeckten wir.

Und die Begegnung mit ihrer „Schwester“ Mimie beschreibt sie auf S. 109:

Da stand sie, in der Tür zur Küche. Groß und schlank und wunderschön. Damals trug Mimie ihr Haar kurz, was ihr apartes Gesicht und ihre fein gezeichneten Züge vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie lächelte. ‚Akwaaba‘, sagte sie, ‚willkommen in unserem Haus.‘ Wir sahen uns in die Augen, und mir war auf der Stelle klar, dass ich mich mit ihr verstehen würde.

Ich durfte die Entwicklung der verschiedenen Projekte miterleben – angefangen vom Bau einer Toilettenanlage in Apewu und dem abenteuerlichen Brunnenbau für das Dorf über die Entstehung von Krankenstationen und Kindergärten, Hilfen für Leprakranke bis hin zu dem sehr komplexen Projekt, Kindersklaven am Voltasee zu befreien.
Jeder Leser begreift bei der Lektüre, warum das Dorf Apewu sie zu ihrer Nana Enimkorkor, ihrer Queen Mother, der Königin der Entwicklung machte. Das hat mich ganz ergriffen gemacht, weil ich weiß, welche Bedeutung eine Queen Mother hat. Durch ihre Erzählungen wird es aber auch Menschen deutlich, die nicht mit der ghanaischen Kultur vertraut sind.

Damals, als ich damit beschäftigt war, dieses erste große Projekt (eine Toilettenanlage für Apewu) zu verwirklichen, überraschte mich der Chief Odikro mit einem unglaublichen Angebot: In aller Form bat er mich im Namen des gesamten Dorfes, Königin von Apewu zu werden. ‚Warum denn das?‘ fragte ich verblüffte. ‚Weil du so viel für uns tust‘, war die Antwort. … Später erzählte mir der Chief, dass es die Geschichte von Stephen Owusu, dem Mann mit dem schlimmen Bein, gewesen war, die ihn tief in seinem Herzen berührt hatte. ‚Damals begriff ich, dass uns mit dir in unserer Mitte nichts geschehen kann‘, vertraute er mir an. ‚Denn du vertrittst unsere Sache und lässt dich durch nichts von dem abbringen, was du für richtig hältst. Du arbeitest mit uns zusammen und respektierst unsere Meinung. Und ich sagte zu meinen Leuten: Dieser Frau müssen wir eine besondere Ehre erweisen, dann was sie für uns tut, ist etwas ganz Besonderes.‘ Und darum wollte er mir im Namen des Dorfes etwas Besonderes schenken.
S. 70

Ich konnte viele Parallelen zwischen Landgrafes Erlebnissen und Emotionen zu meinen eigenen entdecken und spürte, dass sie mindestens die gleiche Begeisterung für das Land hat wie ich.

Ich mag das typische Leben in einem afrikanischen Buschdorf. Wenn ich morgens mit meiner Klopapierrolle unter dem Arm zur Toilette gehe und mich bereits ein halbes Dutzend Leute freudig begrüßt, wenn ich auf meinem Weg zurück hier und dort hängenbleibe, mich noch im Schlafanzug zu einem Schwatz vor ein Haus setze, egal, ob die Zähne schon geputzt sind und die Haare frisiert – dann bin ich einfach glücklich. Ich weiß, das können die wenigsten meiner Landsleute nachempfinden, aber in mir ist nach und nach die Überzeugung gewachsen, dass ich eigentlich in der Tiefe meines Herzens Afrikanerin bin
S. 54

Das ist meine absolute Lieblingsstelle in dem Buch und hier spricht Landgrafe mir voll aus der Seele. Das unterstreiche ich ganz dick.
Ich wünsche Bettina Landgrafe und „Madamfo Ghana“ alles erdenklich Gute, weiterhin einen so großen Erfolg bei der Umsetzung der Projekte, und dem Buch „Weisse Nana“ noch viele, viele Leser.
Es macht mich absolut glücklich, dass Landgrafe es schafft, ihre tiefe Liebe zu dem Land Ghana auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen und dadurch viele Menschen mit der Begeisterung an zu stecken für ein exotisches Land, das nach finanziellen Aspekten zu den ärmsten der Welt gehört, dabei aber in Wirklichkeit ein ungeheuer reiches Land ist – und für uns Heimat bedeutet.

Zu Madamfo Ghana e.V.

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